Ausgestoßene der Woche: Herzchen

Ausgestoßene der Woche: Herzchen


Die erste Ausgestoßene der Woche ist eine Polizistin auf einer Corona-Demo in Kassel. Die junge Beamtin wurde dabei fotografiert, wie sie freundlich schaut und mit den Fingern eine Herz-Geste formt, in Richtung einer Demonstrantin mittleren Alters, um deren Hals ein Plakat mit der Aufschrift „Schützt unsere Kinder vor diesem Wahnsinn!“ baumelt.

Ausgestoßene der Woche: Herzchen

von Kolja Zydatiss

Die Polizei hat gegenüber Focus Online bestätigt, dass die Aufnahme echt ist und eine Polizistin aus Hessen zeigt.

Am vergangenen Wochenende waren in Kassel rund 20.000 Menschen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung auf die Straße gegangen. Der Publizist und Blogger Boris Reitschuster schreibt zur Kontextualisierung des Vorfalls, andere Teilnehmer der Kundgebung hätten ihm berichtet, dass Demonstranten wiederholt den Polizisten kleine Herzchen überreicht hätten. Er selbst habe ein solches Verhalten allerdings nicht beobachten können. Wie dem auch sei: Die Geste war deeskalierend, freundlich, zutiefst menschlich.

Ob sie einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot für Polizeibeamte darstellte, sollen die Rechtsexperten der Polizei beziehungsweise die Gerichte beurteilen. (Laut Focus Online überprüft die Polizei derzeit gründlich, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Berichte in den sozialen Medien, die Beamtin sei schon vom Dienst suspendiert worden, seien falsch). In diese Kolumne habe ich die junge Polizistin vor allem aufgrund des abgedrehten Social-Media-Shitstorms aufgenommen, der sich über sie ergoss, und der mich ziemlich ratlos zurücklässt.

„Exekutive verbrüdert sich mit intellektueller Unterschicht“

So twitterte Thüringens Landesvater Bodo Ramelow (Die Linke): „Ein verstörendes Foto! PolizeiBeamtin [sic] zeigt mit Ihren Händen Herz, solidarisiert sich mit dieser Demonstrantin, die offensichtlich gegen die gerichtlichen Auflagen verstößt, die AHA Regeln missachtet und den Schutz vor der Pandemie als Wahnsinn bezeichnet.“ Die linksidentitäre Aktivistin und Autorin Sibel Schick schrieb: „Polizistin, die mit Coronaleugner*innen sympathisiert, ist keine Überraschung. Dass Polizist*innen rechts sind, ist durchaus bekannt. Wichtiger finde ich die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihre Sympathie zeigt. Dass sie offenbar glaubt, keine Konsequenzen fürchten zu müssen.“

Der Rechtsanwalt und CDU-Politiker Dieter Breymann teilte auf Twitter mit: „Es ist widerlich, wenn sich Exekutive mit intellektueller Unterschicht verbrüdert. Da bekomme ich Angst um das demokratische und kultivierte Deutschland.“ „Wenn Cops ihre rechtsradikalen Freund:innen beim Querdenken treffen“, twitterte @Alert4_Alert4Für den Nutzer @Deprifrei weckte die Geste der Polizistin gar „ungute Erinnerungen ans Dritte Reich“. In dieselbe Kerbe schlug auch @MarioHJahn: „Da marschieren Querschwurbler und Neonazis gegen unser Grundgesetz. Wenn sich Polizisten damit solidarisieren, wird das eine neue SA.“ Vielfach wurde auf Twitter die Entlassung der Beamtin gefordert.

Solche geschichtsblinden, NS-relativierenden Einlassungen sind der (vorläufige?) Höhepunkt der seit Monaten zu beobachtenden gesellschaftlichen Polarisierung und rhetorischen Eskalation rund um das Thema Corona. Fast von Anfang an erklärte die politisch-mediale Klasse Coronagehorsam zum obligatorischen Guten und Kritik an den einschneidenden Eindämmungsmaßnahmen zum absoluten Bösen, um zwei Begriffe der französischen Kulturkritikerin Chantal Delsol zu nutzen. Mit dem Ergebnis, dass Kritik und die Erörterung von Alternativen zur immer schwerer zu rechtfertigenden harten Lockdown-Politik fast ausschließlich der Querdenken-Bewegung und der AfD überlassen wurden, bei denen tatsächlich fragwürde, zum Teil rechtsextreme Akteure mitmischen.

Und so betrachtet die staatstragende, im weitesten Sinne „antipopulistische“ Wagenburg, die sich heute von der Merkel-CDU bis zur Linkspartei erstreckt, von der Oettinger Brauerei bis Indymedia, jegliche „Corona-Kritik“ (aka „Verharmlosung“, aka „Leugnung“) als einen gefährlichen, staatsfeindlichen Neo-Faschismus, und eine hessische Herzchen-Polizistin wird zur Verräterin an der demokratischen Ordnung. Die sich für aufgeklärt und kritisch haltenden Kreise in diesem Land können offenbar nur noch die Platte „Antifaschismus“ auflegen, und diese hat auch noch einen Sprung, wie so manche Schüssel.

„Unreflektierte Kindheitserinnerungen“

Ausgestoßen ist diese Woche auch Bettina Jarasch. Die Spitzenkandidatin der Berliner Grünen sagte auf dem Landesparteitag im Gespräch mit Landesparteichef Werner Graf, sie wäre als Kind gern „Indianerhäuptling“ geworden. Laut einem Bericht der BILD sorgte diese Aussage für „Irritationen und Kritik“. Der Begriff „Indianer“ sei eine Bezeichnung, die sich die Ureinwohner Amerikas nicht selbst gegeben hätten, erklärt die Zeitung. Politisch korrekter wäre die Antwort „ich wollte Häuptling in einem Stamm der amerikanischen Ureinwohner werden“ oder „... der indigenen Völker Nordamerikas“ gewesen. Später hielt Jarasch auf dem Parteitag eine Rede, in der sie unter anderem für diskriminierungsfreie Sprache warb, und die auch die heute obligatorische Entschuldigung und Selbstkritik enthielt. Mit Bezug auf ihre Aussagen sprach die Spitzenkandidatin von „unreflektierten Kindheitserinnerungen“. „Auch ich muss dazu lernen.“

Auch ein CDU-Politiker hat diese Woche Probleme bekommen. Der hessische Wirtschaftswissenschaftler, Ministerialrat und Schriftsteller Martin Heipertz, der sich noch im Februar erfolglos um eine Bundestagskandidatur in Frankfurt bemüht hatte, trat am vergangenen Samstag bei der bereits erwähnten Corona-Demo in Kassel auf. In seiner Rede kritisierte Heipertz die Corona-Politik seiner Partei und sprach sich gegen Impfungen aus, „weil alle derzeit verfügbaren Impfstoffe auf Abtreibungen beruhen“, wie er im Nachgang auf seiner Internetseite erklärte. „Die CDU missbraucht den Namen des Herrn, aber der Herrgott wird ihr das nicht länger erlauben.“ Nachdem der Politiker auf den Vorschlag des Frankfurter CDU-Vorsitzenden Jan Schneider, die Partei freiwillig zu verlassen, nicht einging, beantragte der Kreisvorstand der Frankfurter CDU ein Parteiausschlussverfahren.

In Jena fordert die Grüne Jugend indessen die Umbenennung oder Entfernung von Objekten, die nach dem deutschen Mediziner, Zoologen und Philosophen Ernst Haeckel (1834–1919) benannt sind. „Vor zwei Jahren, zum 100. Jahrestag Ernst Haeckels, veröffentlichte die Friedrich-Schiller-Universität die ‚Jenaer Erklärung‘. Diese besagt, dass das Konzept der ‚Menschenrassen‘ Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung ist. Aufgrund Haeckels Überlegungen zur ‚künstlichen Züchtung‘ des Menschen in modernen Gesellschaften gilt Haeckel als Wegbereiter der Eugenik und ‚Rassenhygiene‘ in Deutschland. Nationalsozialistische Ideolog:innen zogen seine Aussagen später als Begründung für ihren Rassismus heran“, zitiert die Thüringische Landeszeitung die Begründung der Jugendorganisation.

Anlässlich des Internationalen Tages gegen Rassismus am vergangenen Sonntag brachten Mitglieder der Grünen Jugend Jena Ergänzungsschilder an Erinnerungsstätten Haeckels an. Die Jugendorganisation fordert unter anderem die Umbenennung der Jenaer Ernst-Haeckel-Straße, des Ernst-Haeckel-Platzes, sowie die Entfernung des Ernst-Haeckel-Steins. Außerdem solle der Stadtrat eine Expertenkommission einberufen, um alle örtlichen Straßenbenennungen fundiert wissenschaftlich zu überprüfen.

Canceln bei der Vogue

Im sozialen Netzwerk LinkedIn machte Thomas Wilckens die Entdeckung, dass eines seiner Postings zum Thema Corona-Impfungen unsichtbar gemacht worden war. Der in München lebende Mediziner und Unternehmer hatte einen Beitrag der britischen BBC zu Impfstudien mit Kindern geteilt, und auf Englisch dazu geschrieben: „Moderna beginnt damit, die Covid19-Impfung an Kindern und Babies zu testen. Vor einem Jahr wäre das undenkbar gewesen. Eine Studie in einer Population, die fast null Risiko hat, d.h. keinen Nutzen von der Impfung hat. Und auch für die Ausbreitung der Pandemie spielen Kinder keine bedeutende Rolle.“ So etwas verstößt offenbar gegen die Community-Richtlinien von LinkedIn. Wilckens belegte die Löschung mit einem Screenshot, den er auf Twitter veröffentlichte.

Und auch in der englischsprachigen Welt wurde diese Woche eifrig zensiert und gecancelt. Bei der Teen Vogue konnte die 27-jährige schwarze Journalistin Alexi McCammond ihre neue Stelle als leitende Redakteurin nicht antreten. Es waren Tweets ausgegraben worden, die die Amerikanerin vor 10 Jahren, also im Alter von 17 Jahren, geschrieben und schon längst wieder gelöscht hatte. In einem scherzte sie, dass sie googeln würde, wie man vermeiden könne, am Tag nach einer wilden Party mit „asiatischen Augen“ aufzuwachen. In einem anderen Posting beschwerte sie sich über eine „dumme asiatische“ Lehrassistentin, die ihr bei einem Chemie-Test nur 2 von 10 Punkten gegeben hatte.

Das geht nicht, befanden viele von McCammonds zukünftigen Mitarbeitern. Mehr als ein Dutzend wandten sich in einen offenen Brief an Vogue-Chefin Anna Wintour und forderten McCammonds Rausschmiss. Auch die „Asian American Journalist Association“ sowie zahlreiche Anzeigenkunden übten Druck auf den Verlag Condé Nast aus, der die Vogue und Teen Vogue herausgibt. Die Journalistin beendete die Debatte um ihre Person schließlich selbst, indem sie sich auf Twitter entschuldigte und ihren Rückzug von dem Posten erklärte.

In Kanada wurde vor einigen Tagen Robert Hoogland verhaftet, weil er angeblich gegen behördliche Auflagen verstoßen hat, die Geschlechtsumwandlung seiner 15-jährigen Tochter in der Öffentlichkeit nicht zu kritisieren und die Tochter statt mit „sie“ als „er“ anzureden. Der Teenager identifiziert sich als „Transgender“ und lebt bei seiner Mutter, die sich von dem Vater getrennt hat. Als Hoogland vor rund einem Jahr erfuhr, dass seine Tochter beabsichtigte, mittels einer Hormontherapie ihr Geschlecht zu wechseln, klagte er gegen die Mutter. Das Gericht verfügte damals, dass der Kanadier nicht mehr mit den Medien über den Fall reden und den Wunsch seines Kindes nicht „sabotieren“ dürfe. Am 12. April soll der Prozess gegen Robert Hoogland beginnen. Ihm drohen nach eigenen Angaben bis zu fünf Jahre Haft.

„Rule, Britannia“ ist „potenziell diskriminierende“ Äußerung

Aus Großbritannien kommt die sehr bedenkliche Meldung, dass das größte Außenwerbungsunternehmen der Welt, JCDecaux mit Sitz in Neuilly-sur-Seine, Frankreich, dem im Zuge der Corona-Pandemie gegründeten Unternehmensverband Recovery verboten hat, seine Werbeflächen für eine Lockdown-kritische Kampagne zu nutzen. Die von Recovery entworfenen Plakate weisen auf die verheerenden Konsequenzen von Lockdowns für die psychische Gesundheit hin. Das ist angeblich zu „politisch“ für JCDecaux. Der Blog Guido Fawkes weist darauf hin, dass JCDecaux in den vergangen Jahren allerlei politische Kampagnen zugelassen hat, darunter Corona-Botschaften der britischen Regierung. Das wirkliche Problem ist also, dass Recovery einfach die „falsche“ Meinung zu Lockdowns vertritt.

Und auch an der schottischen Aberdeen University gibt es eine Ausgestoßene der Woche. Die 19-jährige Politik- und Geschichtsstudentin Elizabeth Heverin nahm an einer Online-Diskussion über die Präsenz der britischen Armee auf dem Uni-Campus teil. In Großbritannien besuchen Soldaten oft Universitäten, um für die Armee als Arbeitgeber zu werben. Das finden einige ausländische Studenten offenbar irgendwie nationalistisch und unangemessen.

„Wenn sie sich in Gegenwart des britischen Militärs unwohl fühlen, warum kommen sie dann an eine britische Uni?“, tippte Heverin in den Webchat. Wenige Minuten später postete sie die patriotische Losung „Rule, Britannia“ (auch der Titel eines beliebten patriotischen Liedes). Wegen dieser „potenziell diskriminierenden“ Äußerung darf die Studentin nun für zwei Wochen nicht die Gebäude und Dienste der Studierendenvertretung nutzen und an keinen Debatten teilnehmen.

erscheinen auf Achgut


Autor: Achgut
Bild Quelle: Archiv


Dienstag, 30 März 2021

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